Erstmals 2000 wurde der Internationale Tag der Migrant*innen ausgerufen. Ins Leben gerufen wurde er von den Vereinten Nationen, um das Bewusstsein über die Menschen- und Grundrechte von Migrant*innen zu fördern. Gerade im Hinblick aktueller politischer Entwicklungen ist es unerlässlich, die migrantischen Perspektive zu berücksichtigen. Insbesondere Migrantinnen, die oft Mehrfachdiskriminierungen ausgesetzt sind, haben vielseitige Wege gefunden, um auf ihre besondere Situation aumerksam zu machen und Lösungen zu finden.
Die Materialien aus unseren i.d.a.-Einrichtungen geben Einblick in die Vielfalt der Aktivitäten von Migrantinnen bis in die jüngste Geschichte: Vom ersten gemeinsamen Frauenkongress ausländischer und deutscher Frauen über ein Frauenvolksbegehren zum fehlenden Wahlrecht für Migrant*innen bis zu einem Selbsthilfeverein für afrikanische Frauen in Deutschland...
STICHWORT. Archiv der Frauen- und Lesbenbewegung
Das Plakat war eines der Kampagnensujets des Frauen*volksbegehren 2018 in Österreich. Mit dem Sujet „Unterschreibe für mich!“ wurde – in der Formulierung dezent – ein demokratiepolitisches Problem angesprochen, das seit einigen Jahren immer lauter diskutiert wird, nämlich das des fehlenden Wahlrechts für Migrant*innen. Ohne Staatsbürgerschaft haben sie keine Möglichkeit, sich formal an den demokratischen Prozessen ihres (neuen) Heimatlandes zu beteiligen und sind damit von der politischen Mitbestimmung formal ausgeschlossen. Der Slogan fand auch durch Aufkleber Verbreitung.
Frauen* migrantischer Herkunft waren selbstverständlich in die Forderungen dieses Volksbegehrens mit eingeschlossen, zumal sie grundsätzlich von denselben Problemlagen betroffen sind wie österreichische Staatsbürger*innen, die letzte Forderung spricht zudem explizit das das Schutzbedürfnis von Mädchen*, Frauen* und LGBTIQ-Personen auf der Flucht an.
Das Frauen*volksbegehren im Jahr 2018 war nach dem Frauenvolksbegehren 1997 das zweite. Die Beteiligung war mit 7,56% der Wahlberechtigten geringer als 1997. Ganz ähnlich jedoch waren zwangsläufig die Forderungen: Macht teilen, Einkommensunterschiede beseitigen, Armut bekämpfen, Kinderbetreuung, Selbstbestimmung u. a.
FFBIZ
Zum ersten „Gemeinsamen Kongress ausländischer und deutscher Frauen in der Bundesrepublik und Europa“
„Was für eine Mobilisierung!“ beschreibt Berrin Önler-Sayan in ihrem Essay die intensive neunmonatige Vorbereitungszeit des ersten „Gemeinsamen Kongresses ausländischer und deutscher Frauen in der Bundesrepublik und Europa“. Vom 23. bis 25. März 1984 kamen über 1.000 Teilnehmerinnen in Frankfurt am Main zusammen, um sich über die massive Diskriminierung migrantischer Frauen in der BRD auszutauschen. Der Kongress entstand als Reaktion auf das Tribunal gegen Ausländerfeindlichkeit und Menschenrechtsverletzungen 1983 in Frankfurt a. M., bei dem die spezifischen Probleme migrantischer Frauen kaum beachtet wurden. Ein Organisationskomitee, bestehend aus u.a. feministischen Sozialarbeiter*innen, bereitete den Kongress vor und vernetzte sich bundesweit mit Fraueninitiativen. Berrin Önler-Sayan und ihre Mitstreiterinnen warben mit einem Plakat und einem in 15 Sprachen übersetzten Flugblatt für den Kongress und machten so jede neue Unterstützerin zur Multiplikatorin. Der Kongress umfasste zehn Arbeitsgruppen, die Themen wie Arbeits- und Aufenthaltsrechte, Gesundheit, Bildung, Diskriminierung und häusliche Gewalt behandelten. Die Ergebnisse wurden in einem Abschlusskommuniqué zusammengefasst und medienwirksam präsentiert.
Der Kongress war ein wichtiger Teil der Migrantinnenbewegung der 1970er- und 80er-Jahre, die sich gegen restriktive Migrationsgesetze und Zuzugsbeschränkungen wandte. Arbeitsmigrantinnen, deutsche und migrantische Studentinnen sowie Sozialarbeiterinnen solidarisierten und organisierten sich in Frauenvereinen und boten Beratungsdienste an. In West-Berlin entstanden in dieser Zeit Vereine wie der TIO e.V., Elişi Evi e.V. und Akarsu e.V., die Schutz und Unterstützung wie Sozialberatung, Alphabetisierungskurse und Deutschkurse boten.
Berrin Önler-Sayan stellte im vergangenen Jahr im Rahmen eines FFBIZ-Projekts wichtige Orte der migrantischen Frauenbewegung in Kreuzberg zu einem Stadtrundgang zusammen. Teile dieses Projekts sind hier dokumentiert. Viel Spaß beim Weiterlesen!
FrauenMediaTurm
Titel: „Sind wir uns denn so fremd?“
Im März 1984 kamen in Frankfurt am Main deutsche und ausländische Frauen unter dem Motto „Sind wir uns denn so fremd?“ zusammen, um sich über Erfahrungen der Diskriminierung und Unterdrückung auszutauschen. Der erste gemeinsame Frauenkongress dieser Art widmete sich Themen wie Gewalt gegen Frauen, ungleiche Bezahlung und schwierigen Arbeitsbedingungen – mit einem besonderen Fokus auf die Situation von Migrantinnen (FMT, FB.07.097).
Die Idee dazu entstand bereits im Sommer 1983 bei einer Großveranstaltung des „Frankfurter Appells“, ein Tribunal gegen Ausländerfeindlichkeit und Menschenrechtsverletzungen in Frankfurt (FMT, FB.03.156). Doch die besonderen Benachteiligungen von ausländischen Frauen wurden dabei nur am Rande behandelt. Deswegen organisierte das Frankfurter Organisationskomitee mit engagierten Frauen aus ganz Westdeutschland den Kongress, um Frauen unterschiedlicher Herkünfte an einen Tisch zu bringen und Solidarität über kulturelle Grenzen hinweg zu schaffen.
Ein Zeitzeuginnenbericht von Berrin Önler-Sayan, der heute im Digitalen Deutschen Frauenarchiv nachzulesen ist, gibt einen lebendigen Einblick in die Vorbereitung des Kongresses: „Der Aufruf und das Plakat wurden inhaltlich und grafisch bei diesen Organisationstreffen jeweils mit mindestens 20 Teilnehmerinnen diskutiert und schließlich mehrheitlich beschlossen. Das Bild einer sehr originellen und eins zu eins übernommenen Höhlenmalerei mit mehreren sich an den Schultern festhaltenden Frauen auf dem Aufruf sollte unsere Frauensolidarität symbolisieren.“[1] Neben der Vorbereitung schildert sie zudem, wie wichtig die Veranstaltung für die Migrantinnenbewegung der 1970er und 1980er Jahre war. Die doppelte Benachteiligung von Frauen mit Migrationshintergrund – Diskriminierung sowohl als Frauen als auch als Migrantinnen – stand im Mittelpunkt der Diskussionen und machte die Dringlichkeit gemeinsamer Lösungen deutlich.
[1] Berrin Önler-Sayan (2024): Zur Migrantinnenbewegung der 1970/80er-Jahre in der Bundesrepublik, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv; URL: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/themen/zur-migrantinnenbewegung-der-197080er-jahre-der-bundesrepublik;Zuletzt besucht am: 16.10.2024
belldadonna
Dachverband der Ausländer-Kulturvereine in Bremen e.V. (gez. İletmiş, Gule) 1987: Antwort auf die Briefwurfsendung der Deutschen Volksunion (DVU)
Bremen ist eine von Multikulturalität geprägte Stadt.[1] 1983 führte dies zur Gründung des „Dachverbands der Ausländer-Kulturvereine in Bremen“ (DAB).[2,3] Mitgründerin und spätere Geschäftsführerin des Dachverbands war Gule İletmiş, die zwischen 1999 und 2007 als Mitglied der SPD in der Bremer Bürgerschaft agierte. In einem Interview schildert İletmiş, dass die Anerkennung ihres Engagements mit zunehmenden Aktivitäten in Vereinen und Institutionen abgenommen habe, wofür nicht zuletzt eine männlich und weiß dominierte Politiklandschaft verantwortlich war.[4] Sowohl in der parlamentarischen Arbeit als auch mit derer im DAB setzte sich İletmiş für Solidarität und eine Änderung des politischen Rahmens hin zu einer gesellschaftlichen Gleichstellung von Migrant*innen und Nicht-Migrant*innen ein.
Beispielsweise reagierte der DAB 1987 mit einem Rundbrief (gez. İletmiş) auf rassistische Wahlwerbung der neonazistischen Deutschen Volksunion (DVU), die 1987 sowie 1991 ins Landesparlament Bremens gewählt wurden. Jene Partei wurde jedoch von Bremer Medien in ihrer Berichterstattung boykottiert, weshalb sie auf andere Werbemittel wie Briefwurfsendungen zurückgriff. Nach einer Analyse von Lothar Probst bedienten sie sich in den Briefen Mitteln der Identitäts- und Sinnstiftung sowie einer binären Codierung, um sich gegenüber Migrant*innen abzugrenzen.[5]
Im Rundbrief der DAB wird Empörung gegen die Briefwurfsendung deutlich. Falschaussagen der DVU werden richtiggestellt und es wird zu einem gemeinsamen „sich zur Wehr setzen“ aufgerufen. Diese kraftvollen Worte stehen im Kontext der absurden Realität, dass Briefwurfsendungen ausnahmslos an alle Haushalte in Bremen zugestellt werden mussten.[6] Demnach waren auch von der DVU diskriminierte Migrant*innen gezwungen, die rassistische Wahlwerbung zu erhalten.
Wir rufen vor dem Hintergrund aktueller politischer Entwicklungen zu Solidarität, Aktivismus und intersektionalem Feminismus auf, um gegen Rassismus und Hass sowie für eine gesellschaftspolitische Gleichstellung zu kämpfen!
Johanna Schoof, belladonna
[1]Bund-Länder Demographie Portal (2019): Demographie in Bremen. Online unter: https://www.demografie-portal.de/DE/Politik/Bremen/demografie-in-bremen.html
[2]Virtuelles Museum der Migration (o.J.): Arbeitsmigration nach Bremen und Gröpelingen. Online unter: https://zis-virtuelles-museum-der-migration.de/nach-bremen-und-groepelingen/#:~:text=Des%20Weiteren%20wurde%201983%20der,Bremer%20Rat%20f%C3%BCr%20Integration%20hervor.
[3]Dünzelmann, Anne E. (2005): Aneignung und Selbstbehauptung. Zum Prozess der Integration und Akkulturation von >GastarbeiterInnen< in Bremen. In: Sylvia Hahn, Christiane Harzig und Dirk Hoerder (Hrsg.): Transkulturelle Perspektiven, Bd. 3. Göttingen: V&R unipress
[4]Schmidt, Claudia (1999): Vom Gast zur Volksvertreterin. Die aus der Türkei stammende Kurdin Gule İletmiş (SPD) ist als erste Migrantin in die Bremische Bürgerschaft gewählt worden. Zeitschrift für In- und AusländerInnen im Lande Bremen, 1999, Nr. 7, S. 6-7
[5]Probst, Lothar (1995): Politische Mythen und symbolische Verständigung. Eine Lokalstudie über die rechtspopulistische DVU in Bremen. Zeitschrift für Parlamentsfragen, Vol. 26, Nr. 1, S. 5-12
[6]Bundesministerium für Post und Telekommunikation (1989): Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Briefs und der Fraktion DIE GRÜNEN — Drucksache 11/4867. Online unter: https://dip.bundestag.de/vorgang/dvu-postwurfsendung-dienstanweisung-du…
Feministische Geschichtswerkstatt e.V.
Migrant*innen waren an Bord, als sich die Feministische Geschichtswerkstatt 2013 gründete. Ein Arbeitsgebiet der Femwerkstatt ist Oral History, und ein Sammlungsschwerpunkt bei uns ist es, die Geschichte von Migrant*innen zu dokumentieren. Wir interessieren uns dabei besonders für gesellschaftlich aktive Migrant*innen. Mittlerweile haben wir mit ihnen 50 Zeitzeugnisse gesammelt. Im Feministischen Archiv können sie für fachliche Zwecke als Quelle benutzt werden. Einen großen Teil des Bestands verdanken wir der Kooperation mit dem Forschungsprojekt IDEA. Besonders war hier die partizipative Methode für Oral History. Es entstand eine migrantische Community, die Zeitzeug*innen auswählte, vermittelte und auch die Interviews mit ihnen machte.
Im Podcast Migrachiv könnt ihr Auszüge dieser Interviews auch hören. Mittlerweile gibt es 32 Folgen – und wir setzen diese Serie fort! Für den Einstieg empfehlen wir euch die Geschichte von Virginia Wangare Greiner.
Virginia Wangare Greiner gründete 1996 in Frankfurt mit anderen den Verein Maisha e.V. Es war der erste Selbsthilfeverein in Deutschland für Frauen aus Afrika. Bis heute ist Maisha für Virginia das Herzstück ihres vielfältigen politischen und sozialen Engagements. Der Verein bietet Afrikanerinnen Hilfe und Rat in allen Lebenslagen. Doch es geht es in der Arbeit auch um die großen Themen Rassismus, Diskriminierung und Integration.
Virginia ist in Tansania und Kenia groß geworden. In Kenia lernte sie als junge Sozialarbeiterin ihren Mann kennen, der dort als deutscher Entwicklungshelfer arbeitete. 1986 entscheiden beide, den Lebensmittelpunkt der Familie nach Deutschland zu verlegen. Virginia ist über Maisha hinaus in bundesweiten und internationalen Netzwerken aktiv.