Wenn es um Geschichte und Statistik von Arbeitszeiten und Pausen geht, orientiert sich die Forschung nach wie vor häufig an der männlichen Lohnarbeitsbiographie. Frauen hingegen hatten in Vergangenheit und Gegenwart oft weniger Gelegenheit zur Pause, denn ihre Arbeitszeit endete selten mit der außerhäuslichen Lohnarbeit. Arbeitspausen und Feierabend mussten oft für die Sorgearbeit herhalten.
Die Möglichkeiten zu pausieren waren und sind auch sonst ungleich verteilt: Zu Beginn der Industrialisierung konnten Arbeitstage bis zu 16 Stunden lang werden – erst ab 1839 durften selbst Kinder bei einer 10-Stunden Schicht zwischendurch Pause machen – und selbst diese Errungenschaften mussten hart erkämpft werden. Adelige wiederum führten häufig ein Leben des Müßiggangs mit vielen ruhigen Stunden. In der Landwirtschaft wiederrum, die in Deutschland noch bis ins 20. Jahrhundert hinein die meisten Menschen beschäftigte, richteten sich Arbeitszeiten und Pausen nach den zu versorgenden Pflanzen und Tieren. Und natürlich nach dem Wetter und den Jahreszeiten.
Für Frauen und Mädchen unterschiedlichster Milieus und Schichten bedeuteten Pausen häufig weitere Arbeitszeit, denn die vielen Stunden der gesellschaftlich notwendigen Sorgearbeit wurden und werden meistens von Frauen erledigt. Neben der Schule mussten und müssen viele junge Mädchen im Haushalt helfen. In ruhigen Augenblicken wurde auch von Adelsfrauen häufig erwartet, dass sie zumindest Handarbeiten erledigten. Und das Mittagsschläfchen des Kindes bedeutet bis heute noch lange nicht, dass auch die Mutter sich ausruhen kann, denn auch ein moderner Haushalt macht viel Arbeit.
Frauen haben deshalb schon früh nicht nur für gerecht entlohnte, sondern auch für gerecht verteilte Arbeitszeit gekämpft. Darüber, wie eine gerechte Verteilung aussehen sollte, waren sie sich allerdings nicht immer einig.
AddF Kassel
Der Crimmtschauer Streik
Der Crimmitschauer Streik 1903/ 1904 war eine besondere Form der Pause, denn: neben dem Streik als Arbeitszwangspause streikten die Textilarbeiter:innen nicht nur für mehr Lohn (10 Prozent) sondern auch für weniger Arbeitszeit – in diesem Fall den 10 Stunden Tag (vorher 11 Stunden) – und auch um eine längere Pause!
Statt wie bisher eine Stunde, forderten die Arbeiterinnen aus dem Königreich Sachsen eineinhalb Stunden (Mittags-)Pause.
Unter dem Motto „Eine Stunde für uns, eine Stunde für unsere Familie, eine Stunde fürs Leben!“ begannen im Juli 1903 zunächst circa 600 Arbeiterinnen mit dem Streik, der sich schnell auf die ge-samte Arbeiter:innenschaft verschiedener Fabriken der Textilindustrie im Ort Crimmitschau auswei-tete. So sollen um die 8.000 Arbeiter:innen ihre Stelle gekündigt und sich dem Streik angeschlossen haben.
„Jahrelang war auf gütlichem Wege versucht worden, zu diesem Ziele zu kommen, immer aber ver-gebens. Selbst die durch eine Verordnung festgelegte Mittagszeit von 11/2 Stunden für die Frauen, die nebenher auch noch einen Haushalt zu besorgen hatten, wurde nicht gewährt. Fiel es den Frauen ein, dieses Recht zu fordern, so wurden sie glatt entlassen. Die einstündige Mittagszeit reichte nur für sehr wenige, um zum Essen nach Hause zu gehen. […] Der Streik brachte vielen zum erstenmal in ihrem Leben eine Art Ferien. Mütter konnten mit ihren Kindern einige Stunden frische Luft schöpfen. Die Bänke im Bismarckhain waren mit den typischen Webergestalten, hüstelnden, abgezehrten Frau-en und Mädchen, mit Häkel- und Strickzeug in der Hand, besetzt. 3126 Männer und 3434 Frauen waren ausgesperrt. Der Zehnstundentag bedeutete nicht nur für die Textilarbeiter in Crimmitschau ein Stück Lebensmöglichkeit, Gesundheit, Familienleben, Bildungsmöglichkeit. Er war für die gesam-te Arbeiterschaft von ungeheurer Bedeutung“, schreibt die Frauenrechtlerin und Sozialistin Ottilie Baader über den Crimmitschauer Streik.
Leider blieben die Arbeitgeber unnachgiebig und erklärten sich nach zehn Wochen des Streiks lediglich dazu bereit, die Arbeiter:innen zu den alten Bedingungen wieder einzustellen – natürlich inakzeptabel für die Streikenden, die sich zunehmend gewerkschaftlich organisierten und auch überregional Solidarität erfuhren.
Über fünf Monate streikten die meisten der betroffenen Arbeiter:innen. Am Tag, an dem diese Solidaritätspostkarte produziert wurde – dem 18. Januar 1904 – beschloss die Streikleitung das Ende des Streiks. Die Forderungen wurden nicht erfüllt und die meisten Streikenden nahmen ihre Arbeit zu den alten Bedingungen wieder auf.
Nichtsdestotrotz erkannten viele Arbeitgeber (sorgenvoll) das Potenzial der organisierten Arbeiter:innenbewegung und ergriffen ihrerseits Maßnahmen zum Abwenden möglicher weiterer Streiks.
Und das alles, weil zunächst Frauen* im Juli 1903 unter anderem eine längere Pause forderten.
FrauenMediaTurm
In den 1970er und 1980er Jahren kamen Themen wie Pausenregelungen, Hausarbeit sowie gerechte Bezahlung und Belastung im Beruf und Haushalt erneut auf die Agenda der Frauenpolitik. Schon die historische Frauenbewegung thematisierte die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Haushalt. Dass Männer einmal einen gerechten Anteil an dieser Arbeit übernehmen würden, erschien vielen Frauenrechtlerinnen unvorstellbar. So schrieb Luise Büchner 1856, dass die Emanzipation der Frau nie so weit führen würde, dass Männer den Haushalt übernehmen und Frauen berufstätig seien.[1]
Auch deshalb kämpften Frauenrechtlerinnen für faire Arbeitsbedingungen und „Pausen“: Sie benötigten Zeit für die Sorge-Arbeit und besonderen Schutz während Schwangerschaft und Wochenbett. In der Folge galten vor allem für Arbeiterinnen besondere Schutzregelungen. Trotz der Doppelt- und Dreifachbelastung der Frauen in der Fabrik und zu Hause galten sie als weniger belastbar als Männer und wurden entsprechend schlechter bezahlt – nicht nur, aber auch wegen dieser Sonderregelungen.
Sonderregelungen für Frauen auf dem Arbeitsmarkt galten auch noch in den 1970er und 1980er Jahren, wie im 1980 erschienen Buch der Rechtsanwältin Gisela Fickert nachzulesen ist: Frauen durften zum Beispiel an Tagen vor Sonn- und Feiertagen nicht länger als acht Stunden arbeiten.[2] Auch die Pausenregelung war geschlechtsspezifisch: Bei einer Arbeitszeit von 4,5 bis 6 Stunden stand Frauen eine 20-minütige Pause zu.[3] Außerdem galt für Frauen noch bis 1992 ein Nachtarbeitsverbot. Diese Sonderregelungen basierten nach wie vor auf dem Glauben, dass Frauen weniger belastbar seien, beim Thema Nachtarbeit kamen noch moralische Bedenken hinzu. Der Idealarbeiter war der verheiratete Mann, der nach Feierabend tatsächlich Pause hatte, da seine Frau den Haushalt führte und die Kindererziehung übernahm.[4]
Bereits im 19. Jahrhundert institutionalisierten sich Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen bei gleichwertiger Arbeit in der Fabrik.[5] Das Bundesarbeitsgericht urteilte 1955, dass Männer und Frauen bei gleicher Arbeit gleich bezahlt werden sollten.[6] Doch die Lohndiskriminierung setzte sich fort, da Frauen durch die Doppelbelastung als weniger belastbar galten und in die neu entstehenden Leichtlohngruppen eingestuft wurden.[7]
1994 löste das Arbeitszeitgesetz die Arbeitszeitordnung (AZO) ab, die 70 Jahre lang Pausen reguliert hatte.[8] Seitdem gilt für Frauen erst ab sechs Stunden eine gesetzliche Pflicht zur Pause sowie die Erlaubnis, nachts zu arbeiten. Viele Verbesserungen im Arbeitsrecht resultierten aus dem Einsatz von Frauen: In den 1980er Jahren forderten Arbeiterinnen gleiche Löhne für gleiche Arbeit. Ein Beispiel dafür sind die „Heinze-Frauen“ aus Kassel, die 1979 vor Gericht zogen und 1981 vor dem Bundesarbeitsgericht siegten, was ein bedeutender Erfolg im Kampf um Lohngleichheit war.
Die Realität zeigt jedoch, dass noch immer Ungleichheiten bestehen. Ein Arbeitsrecht-Ratgeber für Ostfrauen schrieb 1992: „Auch in den alten Bundesländern verdienen Frauen durchschnittlich ein Drittel weniger als Männer, und die Chancen dagegen vorzugehen, sind schlecht.“[9] 2023 fiel der Equal Pay Day auf den 6. März – Frauen arbeiteten also über zwei Monate des Jahres aufgrund ihres Geschlechts unbezahlt.
[1] Büchner, Luise: Die Frau und ihr Beruf, Frankfurt 1856, S. 14.
[2] Fickert, Gisela: Die Frau und ihr Recht im Berufsleben, München 1980, S. 58.
[3] Fickert, Gisela: Die Frau und ihr Recht im Berufsleben, München 1980, S. 161.
[4] Diezinger, Angelika, et. al. Die Arbeit der Frau in Betrieb und Familie, in: Littek, Wolfang (Hg.): Einführung in die Arbeits- und Industriesoziologie, Frankfurt am Main, 1982, S. 227-248, hier S. 232.
[5] Wehling, Pamela und Katja Müller: Ungleich, vergleichbar, gleich – auf dem Weg zur geschlechtsneutralen Arbeitswelt? Geschlechtliche Differenzierungsprozesse im Kontext von Arbeit, in: Arbeits- und Industriesoziologische Studien, Jg. 7, H. 2, 2014, S. 22 – 40, hier S. 22.
[6] Bundesarbeitsgericht Urteil vom 15.01.1955, Az.: 1 AZR 305/54.
[7] Wehling, Pamela und Katja Müller: Ungleich, vergleichbar, gleich – auf dem Weg zur geschlechtsneutralen Arbeitswelt? Geschlechtliche Differenzierungsprozesse im Kontext von Arbeit, in: Arbeits- und Industriesoziologische Studien, Jg. 7, H. 2, 2014, S. 22 – 40, hier S. 28 - 30.
[8] Reichsgesetzblatt Teil 1, Ausgegeben zu Berlin, den 31. Dezember 1923, Nr. 134, S. 207. Zuletzt aufgerufen am 23.07.2024 https://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=dra&datum=1923&page=1383&si…