Am 2. Juni feiert die UNESCO jährlich den Welterbe Tag.
Derzeit gibt es alleine in Deutschland 52 Stätten des Weltkultur- und Weltnaturerbes, wie z.B. den mittelalterlichen Kölner Dom, das Wattenmeer, die archäologische Grenzkomplex Haithabu in Schleswig Holstein oder der frühneuzeitliche Bergpark Wilhelmshöhe in Kassel. Zum Tag des Welterbes sind diese Stätten bundesweit angehalten, unter dem Motto „Vielfalt entdecken und erleben“ ihre Türen zu öffnen.
Dieses Jahr wollten wir Archive, Bibliotheken und Dokumentationszentren uns diesem Tag und ihrem Motto anschließen- denn unsere Einrichtungen sind auch Orte, die oftmals im Schatten dieser großen Welterbestätten, die ihrerseits wiederum leider meist eher mit großen Männern als großen Frauen in Verbindung gebracht werden (i.e. Schloss Sanssouci, Speyrer Dom, Aachener Dom, Luthergedenkstätten in Eisleben und Wittenberg…).
Wie vielfältig und facettenreich wir an das Erbe von Frauen und Minderheiten erinnern, wie wir um Erinnerung an Personen, Orte und Umstände in unseren Einrichtungen kämpfen, welche vielfältigen Wege des Erinnerns es gibt – und, was ihr selbst tun könnt, gegen das Vergessen zu arbeiten – haben wir für euch in diesem Monatsthema zusammengetragen.
STICHWORT. Archiv der Frauen- und Lesbenbewegung
Vollständiger Wortlaut der Gedenkkugel:
„In Gedenken aller lesbischer Frauen und Mädchen im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück und Uckermark. Lesbische Frauen galten als „entartet“ und wurden als „asozial“, als widerständig und ver-rückt und aus anderen Gründen verfolgt und ermordet. Ihr seid nicht vergessen.“
Das Gedenken für verfolgte und ermordete lesbische Frauen im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück war [lange] ein vieldiskutiertes Thema. Erst beim 77. Jahrestag der Befreiung […] am 1. Mai 2022 wurde zum ersten Mal auch der lesbischen Frauen im offiziellen Rahmen gedacht. Die als Gedenkzeichen niedergelegte Tonkugel [wurde] von der Künstlerin Petra Abel [gestaltet].
Die Vorgeschichte ist langwierig und von Konflikten gezeichnet: Bereits in den 1980ern organisierten Lesben in der DDR das erste Gedenken. Seit Mitte der 1990er Jahre veranstalteten Aktivistinnen verschiedene Aktionen in Ravensbrück und im Jahr 2015 legte die Initiative Autonome feministische Frauen und Lesben aus Deutschland und Österreich erstmals eine Gedenkkugel nieder. Diese musste aber wieder entfernt und ein offizieller Antrag […] gestellt werden. […] Nachdem 2021 die offizielle Zusage gekommen war und die Gedenkkugel am 1. Mai 2022 bei der Befreiungsfeier niedergelegt werden sollte, zerbrach kurz davor diese Tonkugel […] […] das offizielle Gedenkzeichen […] folgte am 30. Oktober 2022.
Bedingt durch den Diskussionsprozess gibt es heute vier Kugeln aus Ton mit unterschiedlichen Inschriften: den ausgehandelten Text enthält jene in der Gedenkstätte Ravensbrück; die drei anderen wurden archiviert, eine im Spinnboden – Lesbenarchiv und -bibliothek in Berlin, eine im Schwulen Museum in Berlin und die hier abgebildete Kugel wurde im Sommer 2023 von STICHWORT übernommen.
(Vollständiger Text siehe: http://www.stichwort.or.at/archbib/40-Fundstuecke/40fundstuecke_web.pdf)
Kölner Frauengeschichtsverein e.V.
Erinnerungskultur: Kölner Frauengeschichte, Stunde Null
Der Kölner Frauengeschichtsverein war erst noch eine Idee/im Embryostatus, als ein aufgeregter Anruf die spätere Mitgründerin Irene Franken erreichte: Die Ratsgrüne Gundi Haep machte den ‚Skandal‘ offen, dass mal wieder Frauen im Kulturbetrieb/öffentlichen Raum unsichtbar gemacht werden sollten. Der historische Ratsturm aus dem 15. Jahrhundert, Teil eines mehrteiligen Gebäudeensembles ‚Rathaus‘, sollte endlich wieder mit dem Figurenschmuck gekrönt werden, den er ursprünglich getragen hatte: 124 Steinskulpturen von Persönlichkeiten, die zum Wohl der Stadt Köln beigetragen hatte. Die früheren Denkmale waren teils im 19. Jahrhundert bis zur Unkenntlichkeit erodiert, teils im 2. Weltkrieg weggebombt worden.
Die erste Denkmalschützerin der Stadt, ‚Frl.‘ Dr. Hanna Adenauer, hatte in der Nachkriegszeit nur für den authentischen Wiederaufbau gesorgt, das Dekor fehlte noch. Die leitende Stadtkonservatorin der 1980er Jahre dagegen hatte die Neubesiedlung zu einem zentralen Thema ihres Amtes gemacht und eine entsprechende Expert:innen-Kommission einberufen. Aber trotz der Mitwirkung zweier Frauen hatte der gender-Aspekt keine Rolle gespielt: Nur fünf Frauen waren im Entwurf von ca. 1985 unter den 124 ‚ehrwürdigen Promis' einbezogen worden.
Diese Exklusion wollten Gundi Haep und Irene Franken verhindern. Die Historikerin trug die Namen von ca. 15 geeigneten Frauen bei – heute könnten es Hunderte sein -, die Kommunalpolitikerin monierte in einer engagierten Rede im Rat das Fehlen dieser Persönlichkeiten der Stadtgeschichte. Darunter befanden sich u.a. die Gründerin des ersten Beginenkonvents Deutschlands, eine Meisterin der Frauenzunft der Seidenweberinnen, die Gründerin der ersten Ursulinenschule Deutschlands, die als Hexe verfolgte und ermordete Unternehmerin Katharina Henot, das Universalgenie Anna Maria van Schuurman, die Gründerin der Firma Klosterfrau Melissengeist oder auch Schriftstellerin Irmgard Keun.
Es ging Raunen und irgendwann auch Gelächter durch den Sitzungssaal, vor allem von Männern, da die Frauen ihnen nicht bekannt waren. Immerhin wurde einer Archivarin beauftragt, Dossiers zu den genannten Frauen zu erstellen. Die Kommission wurde um zwei junge Historikerinnen erweitert, darunter Irene Franken. Nun ging das Hauen und Stechen los, denn für jede weitere Frau musste ein Mann von der Liste gestrichen werden. Es gab aufgeregte Debatten. Der Leiter des Historischen Archivs verließ entzürnt das Komitee. In der Lokalpresse gab es seitenlange Artikel über die vermeintliche Quotierung eines Themas, das zuvor bereits nach Konfessionen, politischen Richtungen und eben Geschlecht durchquotiert gewesen war. Fast alle ‚weiblichen‘ Vorschläge kamen durch, einer kam noch von der CDU hinzu (die erste Ministerin des Landes NRW, Christine Teusch wurde berücksichtigt).
Schließlich ersetzten 13 Frauen die Positionen, die vorher Männern zugedacht waren, und insgesamt gibt es seitdem 18 Frauenskulpturen auf dem Turm. Neben den Herrscherinnen und Heiligen ist nun ein Querschnitt durch Frauenleben über die Jahrhunderte möglich, die liberale Mathilde von Mevissen steht neben der als Giftmörderin überlieferten Stadtgründerin Agrippina, die katholische Ministerin neben der lesbischen Quäker-Sozialistin Dr. Hertha Kraus, die ausbeuterische Postmeisterin Henot neben der Revolutionärin und Menschenrechtlerin Mathilde Franziska Anneke. Was die sich wohl zu sagen haben …
Ab Ende der 1980er Jahre kamen die Skulpturen auf den Turm. Viele von Bildhauerinnen gefertigt, so auch die Skulptur des Frauengeschichtsvereins, Anna Maria van Schuurman, die im 17. Jahrhundert beklagt hatte: Was aber bleibt von den Spuren der Frauen? Nicht mehr als von den Wellen eines Schiffes im Meer. Mit der Kampagne kamen wir ihr ein wenig entgegen, diese sollen nun einige Jahrzehnte halten und vom Wirken der Frauen zeugen.
Louise-Otto-Peters-Gesellschaft
Gedenkbaum für Louise und Auguste: Unsere Pressemeldung in der „Leipziger Volkszeitung“ vom 21.04.2016 (1)
Das Bewahren von Frauenerinnerungsorten gehört zum Programm der Louise-Otto-Peters-
Gesellschaft e.V.: Wir initiierten zum Beispiel 1995 den Gedenkstein an Louises letzter Wohnadresse,2003 die Giebelinschrift Haus Lortzingstraße 5 für Auguste Schmidt, 2006 die Benennung der Louise-Otto-Peters-Allee, dazu zahlreiche Gedenktafeln, so 2015 die Tafel zur Erinnerung an das 150.
Gründungsjubiläum des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins. Unsere Pressemeldung vom 21.04.2016 verweist auf einen weiteren Frauengeschichtsort: den Gedenkbaum im Friedenspark.
Im „Der Genius der Natur …“ reflektiert Louise Otto unter anderem darüber, wie wichtig im Sommer die Friedhöfe für „manche einsame Städterin“ als Orte kostenlosen Naturgenusses sind, als „Garten, der Allen offen steht und in dem die Stille zu finden ist, der man bedarf, wenn man Einkehr halten will in das Leben der Natur und in sich selbst“ (2). - In den öffentlichen Parks ging es schon damals weniger still zu. -
Der Neue Johannisfriedhof mit den Gräbern von LOP und Auguste Schmidt war nach Einhaltung der Ruhezeit ab 1971 zum Friedenspark umgestaltet worden. Aufgrund von Protesten lagerte man zuvor rund 120 kulturhistorisch wertvolle Grabmale um, darunter die Steine für LOP und Auguste Schmidt; sie stehen heute im Lapidarium Alter Johannisfriedhof.
Einer Idee Johanna Ludwigs (3) folgend, bemühten wir uns um einen Baum im Friedenspark, um an die authentischen Grabstellen der beiden Mitbegründerinnen der deutschen Frauenbewegung zu erinnern. Dank Mitgliederspenden und öffentlicher Unterstützung konnte 2016 eine prächtige Trauerbirke eingeweiht erden. Leider zeigte sich die Natur weniger kooperativ als die Zivilgesellschaft, so dass wegen Dürre bis heute zwei Nachpflanzungen nötig wurden.
Gerlinde Kämmerer, LOPG Mai 2024
(1) Gedenkbaum für Louise und Auguste in der LOPG/ Friedenspark Leipzig, https://meta-katalog.eu/Record/1559lopa
(2) „Der Genius der Natur: Harmonien der Natur zu dem Frauenleben der Gegenwart. Eine Gabe für Mädchen und Frauen“, Wien, Pest, Leipzig: A. Hartleben; Druck: Carl Fromme, Wien, 1871. S. 108. Sign. LOPA I.4.7-04 https://www.meta-katalog.eu/Record/57lopa
(3) https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/blog/ein-frauenbewegtes-leben
AddF - Archiv der deutschen Frauenbewegung
Im Schatten des Herkules – so könnte man uns auch nennen, denn über ganz Kassel von oben herab thronen nicht nur viele Kasseler Kulturinstitutionen, sondern auch ein UNESCO Welterbe, der Bergpark Wilhelmshöhe mit dem Herkules, von dessen Spitze die gleichnamige mythologische Figur auf Kassel herabschaut. Darunter erstrecken sich die Kaskaden der Wasserspiele – Publikums- und Touristenmagneten der Stadt.
In Kassel findet daher viel im Schatten dieses Monuments statt – und trotzdem kämpfen wir für feministische Lichtblicke in Stadtbild und Alltag.
Wir möchten das Erinnern an Frauen* nicht nur auf die Forschung begrenzen, sondern #femaleheritage aktiv in das kollektive Gedächtnis einbringen.
So engagieren wir uns z.B. seit Jahren für die Benennung von Straßen und Plätzen in Namen wichtiger Frauen* und beraten bundesweit Landesregierungen/-räte etc., die Interesse an einer solchen Benennung haben. Im Bündnis gelang uns so unter anderem 2014 die Benennung eines neu geschaffenen Platzes in Dr.-Lilli-Jahn-Platz. Die jüdische Ärztin und ihr Mann besaßen eine Arztpraxis bei Kassel; 1944 wurde sie nach Auschwitz deportiert und ermordet (mehr Informationen finden Sie hier).
Wir versuchen auch immer wieder, Frauengedenkorte zu schaffen. So konnten wir uns 2007 die Errichtung eines Denkmals für die Kasseler Unternehmerin Sophie Henschel initiieren – neben ihrer unternehmerischen Tätigkeit machte sie sich vor allem um die sozialen Belange der Stadt verdient.
Viel Erfolg hatten wir auch in Zusammenarbeit mit Historikerin und Podcasterin Bianca Walther. Zusammen konnten wir 2021 bewirken, dass die Grabstätte von Ika Freudenberg auf dem Nordfriedhof in Wiesbaden in ein Ehrengrab umgewandelt wird.
Eine besondere Art von #femaleheritage findet man in unseren Stadtführungen zur Frauengeschichte, die sich im Schwerpunkt mit Leben und Wirken lokaler und regionaler Frauen* befassen.
Wir sind außerdem Patin der Stolpersteine für die erste Ehrenbürgerin der Stadt Kassel, Sara Nussbaum und ihren Mann Rudolf. Die jüdische Krankenschwester überlebte den Holocaust; ein Teilnachlass von Sara Nussbaum liegt im AddF .
Ein anhaltendes Projekt von uns ist es, Vorschläge für Sonderbriefmarken von Frauen* einzureichen – hier geht es nicht vornehmlich um Frauenrechtlerinnen; wir versuchen einfach, die Anzahl der auf Briefmarken repräsentierten Frauen* zu vergrößern. Briefmarken werden nämlich weiterhin von Männern dominiert und das können wir alle ändern!
Übrigens: jede Einzelperson und Institution kann Anträge stellen, welche Personen auf Briefmarken zu sehen sein sollen. Bis zum 15. September diesen Jahres könnt ihr eure Vorschläge für 2026 einreichen!