Seit 1988 gibt es den Tag der Frauenarchive. Als Datum wurde dafür der 11. Mai gewählt – der Geburtstag der jüdischen Lyrikerin Rose Ausländer. Anfangs von wenigen Archiven als Tag der offenen Tür begangen, wird der 11. Mai heute von vielen i.d.a.-Einrichtungen ganz unterschiedlich mit Inhalten und Veranstaltungen gefüllt. Denn an diesem Tag geht es nicht nur um die zahlreichen Schätze, die sich in den Archivkisten verbergen, sondern auch um die Archive selbst. Jedes Jahr rückt er die Einrichtungen in den Mittelpunkt und gibt Gelegenheit, die Arbeit und Bedeutung feministischer Erinnerungseinrichtungen zu würdigen und in die Öffentlichkeit zu tragen.
In diesem Jahr geben wir Einblicke in verschiedene Bereiche der feministischen Erinnerungsarbeit, die von den Archiven geleistet wird. Auf welche Objekte und Bestände sind sie besonders stolz? Wie kam er zur Entstehung der Archive? Wie sieht ihre tägliche Arbeit aus? Das erzählen uns die i.d.a-Einrichtungen mit ihren Fundstücken.
Alice Salomon Archiv
„Das kann hier kein Selbstbedienungsladen sein.“
Wie wird eine Dokumentensammlung zum Archiv? Theoretisch ist die Antwort einfach: Sobald Unterlagen ihren ursprünglichen Zweck verloren haben und für die Forschung weiter aufbewahrt werden, spricht man von einem Archiv. In der Praxis vollzieht sich dieser Prozess nicht von allein. Die Initialzündung zur Archivierung kommt oft von Menschen, die sich für die Forschung mit bestimmten Dokumenten interessieren.
So war es auch an der Fachhochschule für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (FHSS) in Berlin irgendwann in den späten 1970er Jahren. Die im Keller der Hochschule lagernden Verwaltungsakten hatten sich zu einem inoffiziellen Forschungs-Hotspot entwickelt. Die meisten Menschen, die sich die Akten anschauten, arbeiteten an der FHSS, die 1971 aus der Sozialen Frauenschule hervorgegangen war. Sie interessierten sich für die Geschichte der Sozialen Arbeit und die Rolle der Sozialen Frauenschule und ihrer Angehörigen im Nationalsozialismus.
Auch Adriane Feustel, damals Lehrbeauftragte der FHSS, nutzte die Unterlagen im Keller. In einem Interview beschreibt sie 2020, wie die Aktenregale zum Archiv wurden:
„Das eine war die Erfahrung: Huch, man muss ein bisschen aufpassen, damit da nichts wegkommt. Da ist der Name Alice Salomon Archiv geboren. Ich [hab] dann unten im Keller an die Regale, [die] die Akademie und die alten Akten der Schule betrafen, ausgedruckte Zettel mit groß ‚Alice Salomon Archiv‘ rangeheftet […] und eine Liste hingelegt […], man möge sich eintragen, wenn man irgendwas benutzt. Also um einfach das Signal zu geben: Das kann hier kein Selbstbedienungsladen sein.“[1]
Was mit einem Zettel an einem Kellerregal begann, entwickelte sich später zu einem lebendigen Archiv und Forschungsstandort. Seit dem Jahr 2000 bildet das ASA zusammen mit dem Archiv des Pestalozzi-Fröbel-Hauses das Archiv- und Dokumentationszentrums für soziale und pädagogische Frauenarbeit in Berlin-Schöneberg. Erst im vergangenen Jahr haben wir mehrere tausend Fotografien aus dem Bestand des ASA digitalisiert. Darunter befinden sich auch Aufnahmen aus der Zeit, als das „Alice Salomon Archiv“ nicht mehr als ein handbeschrifteter Hinweiszettel war.
Dayana Lau und Friederike Mehl
[1] Adriane Feustel im Interview mit Dayana Lau und Friederike Mehl (Mai 2020), ca. 00:25:00, Alice Salomon Archiv, Signatur: 7-AUD-0123
Frauenkultur Leipzig
Mit diesem Flyer lud die Lesbengruppe LILA PAUSE im November 1992 zum „Herbst“ – mit dem Verweis, dass das 1. Leipziger Lesbenfest 1990 stattfand.
Doch 2025 findet bereits das 32. Leipziger Lesbentreffen statt… Also, wann gab es das erste Erste?
1992 wurde eingeladen in das „Frauenkulturzentrum MARA“ – das im Dezember 1990 auf einem anderen Flyer der LILA PAUSE noch mit „LEA“ angegeben war. Auch Namensgebungen waren in den frühen 90ern noch fluide…
Die Lila Pause entstand aus einem Kreis lesbischer Frauen, die sich im AK Homosexualität der Evangelischen Studentengemeinde Leipzig trafen. Dort veranstalteten sie am 13.01.´89 ihre erste eigene Veranstaltung. Doch nach dem 9. Oktober ´89 setzte im Frühjahr ´90 der neue Stadtrat einen Beschluss der Frauenkommission des Runden Tisches um, in Leipzig ein [damals noch sogenanntes] „Frauenkulturzentrum“ zu ermöglichen. In einem ehemaligen Jugendclubhaus mit „frauenbewegter Vorgeschichte“ wurde ab 1.8.´90 eine neue Leiterin eingesetzt. Erste Veranstaltungen fanden ab Juni statt – und am 15.9.1990 dann: Ein erstes Lesbenfest im Frauenkulturzentrum
„Die Veranstalterinnen LILA PAUSE, RosaLinde und ROSA Archiv laden alle interessierten Frauen ein. Kinderbetreuung ist gesichert.“ [DAZ 12.09.90] Und das Stadtmagazin LEO schreibt 10|90: „Lustvoll lesbisch… stand auf einem Sticker, den eine der hundert Frauen an der Jacke trug… beim Lesbentreffen am 15. September…“
Am 01.10.90 gründete sich dann der Frauenkultur e.V. Leipzig, um die Trägerschaft für das Haus zu übernehmen. Am 7.10. wurde es eröffnet – und auch die LILA PAUSE zog in einen eigenen Raum – und veranstaltete 1992 das 2. Leipziger Lesbentreffen.
Doch nach dem Besuch mehrerer lesbischer Frauen aus Leipzig beim Lesbenfrühlingstreffens ´92 in Bremen kam der Entschluss, zu einem bundesweiten – und etwas anderem – Lesbentreffen in Leipzig. Und so luden die Lesbengruppen Buntes Archiv und LILA PAUSE gemeinsam zum [zweiten] „1. Leipziger Lesbentreffen“ mit Einladungen bundesweit.


FrauenGenderBibliothek Saar
Wissen Wollen Wirken - Wie aus individuellem Bildungshunger gesellschaftliche Partizipation wurde und warum uns das heute noch bewegen kann.
Im Jahr 1987 startete der erste wissenschaftliche Weiterbildungsstudiengang an der Universität des Saarlandes für Frauen ohne formale Hochschulzugangsberechtigung als Modellversuch.
Schon zuvor, 1984 fanden auf Initiative von Margitta Wendling, einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Soziologie bei Prof. Dr. Hans Leo Krämer, wissbegierige und im Innersten emanzipatorisch bewegte Frauen zwischen Mitte 30 und Ende 50 ein Forum und einen Ankerplatz für bislang ungewöhnlichen Themen und Bildungsformate. Rund um die Bedeutung des Geschlechterverhältnisses für Gesellschaft, Kultur, Wissenschaft und die Lebens- und Arbeitswirklichkeiten von Frauen waren Inhalte und Lernformen im Angebot zur Aneignung und Auseinandersetzung.
Der Modellversuch zur Entwicklung und Erprobung eines Curriculum zur wissenschaftlichen Weiterbildung von Familienfrauen war als ein Beitrag zur bundesweiten geschlechtergerechten, gleichberechtigten Bildungs- und Qualifizierungsoffensive aufgelegt worden, um diesen auch zu verstetigen und damit institutionell und finanziell abzusichern.
Dazu sollte es leider nicht kommen – aber die Frauen der ersten Stunde ließen sich nicht mehr von der Bildfläche vertreiben. Die zertifizierten Absolventinnen des FrauenstudienWeiterbildungsprojektes strömten in die sichtbare Erwerbstätigkeit von Frauenprojekten, Bildungs-, Sozial- und Kultureinrichtungen, nahmen eigenständig weiterführende Studien oder Weiterbildungsangebote an und gründeten nicht zuletzt den aktiv gesellschaftspolitisch gestaltenden Freundinnen- und Bildungsverein Frau e.V., der bis 2024 bestand. Das Private verstehen, es politisch sehen und in weitgefächerte Partizipation wandeln ist diesen Pionierinnen bis in die Zukunft gelungen.
LIESELLE
„Talking Home - Heimat aus unserer eigenen Feder. Frauen of Color in Deutschland“ (1999, Blue Moon Press)
Ein besonderes Fundstück im queer*feministischen Archiv und Bibliothek LIESELLE ist der Sammelband Talking Home - Heimat aus unserer eigenen Feder. Frauen of Color in Deutschland von 1999. Ein zunächst unscheinbar wirkendes Buch, das Beiträge von 17 Frauen / Queers of color umfasst, die sich in unterschiedlichen Sprachen (deutsch, englisch, spanisch und türkisch) und mit verschiedenen künstlerischen Zugängen (Lyrik, Bilder, Erzählungen) der Frage nach Heimat, Identität, Liebe, Lesbisch-Sein und Sexualität annehmen.
Wie aus einem Flugblatt in unserem Archiv hervorgeht, stellten Olumide Popoola und Beldan Sezen ihr Buchprojekt im Jahr 1998 im feministischen Archiv ausZeiten in Bochum vor. Angekündigt wurde die Veranstaltung wie folgt: „Frauen of Color […] in aller Unterschiedlichkeit berichten von ihrem ganz persönlichen Balanceakt zwischen lesbischem/queerem Leben in weißen Strukturen und Lebensrealitäten in heterosexuellen Strukturen.“
Ich habe es zur Vorstellung als besonderes Fundstück aus unserem Archiv ausgewählt, weil es geschrieben ist, als ob es explizit zur Archivierung der Geschichten von Frauen, Lesben und Queers of color geschrieben wurde. So heißt es in der Widmung:
„Gewidmet all denen, die vor uns gegangen sind
All denen, die noch kommen werden
All denen, die auf dem Wege sind“
Das Buch liest sich wie ein Appell, ein Statement, das dem Eindruck, dass Migrant*innen, Schwarze Frauen/Queers und Frauen/Queers of color nicht zur queer*feministischen Bewegung in Deutschland beitrugen, entgegenwirkt. Es verweist auf eine Leerstelle in deutschen feministischen Archiven, in denen uns Migrant*innen häufiger als problematisierte Personengruppe begegnen, statt als aktiver Teil der Bewegung und Schreiber*innen ihrer eigenen Geschichten. Talking Home liest sich wie eine Herzensangelegenheit derjenigen, die sich fragen: „Es konnte doch nicht sein, daß es uns nicht gab?“
Archiv der deutschen Frauenbewegung
Was hat eine Anwältinnenrobe mit der Gleichberechtigung zu tun?
Ziemlich viel, denn diese Anwältinnenrobe gehörte Dr. Elisabeth Selbert. Als Vertreterin der SPD gehörte sie 1948/49 dem in Bonn tagenden Parlamentarischen Rat an, der über das Grundgesetz beriet. Beharrlich kämpfte die Kasseler Juristin auch nach zweimaligem Scheitern weiter (mit medienwirksamer Kampagne) für den schließlich im Januar 1949 doch noch beschlossenen Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“.
Als Rechtsanwältin mit eigener Kanzlei, die sich speziell dem Familien- und Scheidungsrecht widmete, dürften ihr die Folgen dieses Satzes von Beginn an klar gewesen sein: Das Familienrecht, das noch aus dem Jahr 1896 – dem Geburtsjahr Selberts – stammte und das bereits die alte, bürgerliche Frauenbewegung bis zu seinem Inkrafttreten 1900 bekämpfte[1], musste neu gefasst werden. Selbert formulierte für den SPD-Parteivorstand noch einen Reformentwurf, den die damalige Oppositionspartei ohne Aussicht auf Erfolg einbrachte, aber die CDU-geführte Bundesregierung schaffte es erst 1958 endlich ein Gleichberechtigungsgesetz vorzulegen, das dann vom Bundesverfassungsgericht gekippt wurde. Die notwendigen Reformen des Ehe- und Familienrechts ließen gar noch bis 1977 auf sich warten.
Die Kasseler Juristin Elisabeth Selbert, die von 1946 bis 1958 dem Hessischen Landtag angehörte, wäre als Richterin gern an das Bundesverfassungsgericht oder an das Bundessozialgericht berufen worden, aber ihre eigene Partei versagte ihr damals die Unterstützung dafür.
Die Kanzlei, die Selbert 1934 eröffnet hatte, als sie als eine der letzten Frauen zur Anwaltschaft zugelassen worden war, führte sie mit einer Spezialisierung auf das Familienrecht bis in ihr 86. Lebensjahr. Die Robe und das Barett stammen aus der späteren Anwaltstätigkeit in den 1960er Jahren.
Das Thema Gleichberechtigung im Grundgesetz interessiert euch? Auf unserer Website findet ihr ein ausführliches Dossier dazu: https://addf-kassel.de/dossiers/dossiers-themen/gleichberechtigung
Literatur:
Antje Dertinger: Elisabeth Selbert. Eine Kurzbiografie, Wiesbaden 1986.
Barbara Böttger: Elisabeth Selbert. „Mutter“ des Grundgesetzes, profilierte Politikerin, Anwältin aus Berufung, Frauenrechtlerin wider Willen, in: Ariadne 30 (1996), S. 4-9.
Karin Gille-Linne: Gleichberechtigt! Die Sozialdemokratinnen Elisabeth Selbert und Herta Gotthelf im Kampf um Art. 3 II Grundgesetz 1948/49, in: Ariadne 75 (2019), S. 44–57.
Cornelia Wenzel: Dr. Elisabeth Selbert, online unter: https://addf-kassel.de/online-angebote/dossiers-personen/elisabeth-selbert
[1] Vgl. Marie Stritt, Hanna Bieber-Böhm: Frauen-Landsturm. Flugblatt zum Familienrecht im bürgerlichen Gesetzbuch. Verein „Jugendschutz“, Berlin 1896.
Frauenmediaturm
„Schatzkammer“, „Wissensschatz“ oder „Speicher“ – das steckt ursprünglich hinter der Bezeichnung Thesaurus (griech. thēsaurós). Heute verstehen wir darunter Bücher oder digitale Suchmaschinen mit Schlagwörtern. Doch ein Thesaurus ist kein Duden: Er sammelt gezielt Begriffe zu bestimmten Themen, ordnet sie in Ober- und Unterbegriffe und enthält Synonyme. So erleichtert er die Recherche und Erschließung von Werken und die Systematisierung von Wissen – früher unverzichtbar, heute noch immer ein wertvolles Werkzeug.
Das gilt für die feministische Perspektive auf Wissensordnungen in besonderem Maße. Denn was in Denksystemen und ihren Ordnungen nicht begrifflich gefasst wird, kann nicht gedacht, geschweige denn kritisiert oder verändert werden. Sprache ist nie neutral. Sie bildet Realität auf eine jeweils bestimmte Weise ab und beeinflusst gleichzeitig, wie wir über sie Denken und in ihr Handeln können. Deshalb war es für die Akteurinnen der Neuen Frauenbewegung wichtig, tradierten Ordnungssystemen von Wissen etwas Neues entgegenzusetzen, um Frauen und ihre Perspektiven sicht- und auffindbar zu machen.
Ein Ergebnis dieser Initiativen ist der Feministische Thesaurus des FrauenMediaTurms. Rund 1.600 Schlagworte und 600 Synonyme ermöglichen die systematische Verschlagwortung von Bibliotheks- und Archivbeständen nach feministischen Gesichtspunkten. Anders als viele wissenschaftliche Thesauri ist er interdisziplinär und repräsentiert die feministische Gesellschaftsanalyse in all ihren politischen, sozialen und ökonomischen Facetten.
Er entstand 1994 mit dem Einzug des Archivs in sein heutiges Domizil, den mittelalterlichen Bayenturm. 2005 wurde er grundlegend überarbeitet und wird heute digital weiterentwickelt. Er war einer der ersten deutschsprachige Thesauri seiner Art und inspirierte zahlreiche weitere Projekte, zum Beispiel den österreichischen ThesaurA.
Der Feministische Thesaurus ist ein Ergebnis der feministischen Linguistik, die seit den 1970ern patriarchale Strukturen in der Sprache aufzeigt. Bis heute wirken sprachliche Diskriminierungen fort – auch in Algorithmen und KI. Für eine gerechte Zukunft braucht es dringend weiterhin feministische Perspektiven in Sprache und Technik.
Letter Verein
Nelly Planck zu Besuch im Lette Verein
Im Februar 1930 wurde in der Photographischen Lehranstalt des Lette-Vereins der 60. Geburtstag ihrer Direktorin Marie Kundt gefeiert. Es sind Berichte, einige Fotos und die gebundenen Glückwunschschreiben von diesem Fest erhalten. Es gab eine Ausstellung und ein Festessen. Es ist eine Skizze der Tischverteilung und Platzierung erhalten. So können wir uns heute vorstellen, wer sich beim Fest mit wem unterhalten hat. Es waren Lehrkräfte, ehemalige Schülerinnen verschiedener fotografischer Bereiche und Vertreter*innen der Fachgesellschaften versammelt. Darunter war auch Nelly Planck, Ärztin und Schwiegertochter von Max Planck. In der Zeitschrift des Berufsverbandes der Technischen Assistentinnen ist sie 1930 als zweite Geschäftsführerin des Verbandes verzeichnet. Der Berufsverband setzte sich für die stetige Verbesserung der Erwerbsmöglichkeiten von Frauen in technischen Berufen ein. Dazu zählten unter anderen medizinisch-technische Assistentinnen für Radiologie und Labore sowie Metallographinnen, die in der Photographischen Lehranstalt ausgebildet wurden.
Im Berufsverband BOTAWI (Bund der Organisationen technischer Assistentinnen an wissenschaftlichen und industriellen Instituten), später REVETA (Reichsverband Technischer Assistentinnen) waren Marie Kundt und Carola Lohde aus dem Lette-Verein, Elise Wolff aus dem Urban-Krankenhaus, später die Reichstagsabgeordnete Thusnelda Lang-Brumann und die Ärztin Nelly Planck aktiv. Der Verband konnte bis 1933 seinen demokratischen Aufbau erhalten. Nachdem die führenden Frauen verstorben, ausgeschlossen oder zurückgetreten waren, erfolgte die Eingliederung in nationalsozialistische Strukturen. Seine Geschichte und die Biografien seiner Protagonistinnen sind noch nicht ausführlich erforscht.
Jana Haase
Zum Weiterlesen:
https://www.mtdialog.de/mt-intern/artikel/wie-1896-in-berlin-alles-anfing
DENKtRÄUME
„Sich nicht mehr stundenlang in öffentlichen Bibliotheken auf der Suche nach feministischer Literatur abquälen oder ratlos auf 5 Kärtchen unterm Stichwort ‚F-Frauen‘ blicken! Nicht mehr Tage die Stadt durchwandern, weil wir ein Flugblatt gegen Erwerbslosigkeit von Frauen machen wollen, aber kein Archiv imstande ist, Zahlenmaterial dazu anzubieten! Nicht mehr gezwungen sein, unsern [sic!] Vortrag oder Kurstext nach ungebührlich Feministischem zu zensieren, weil es dem Leiter einer Bildungsstätte oder dem Vermieter eines Raums zu radikal ist!“[1] – Das war der Wunsch von den Gründungsfrauen des Frauen*bildungszentrums DENKtRÄUME Anfang der 1980er Jahre.
Mehr als 20 Jahre traf sich eine Gruppe von neun Frauen einmal in der Woche, um feministische Informationen zu sammeln und zur Verfügung zu stellen. Sie werteten Zeitungen aus, sammelten Flugblätter und diskutierten über die inhaltlichen Einordnungen. Entstanden ist das Presseausschnittsarchiv von DENKtRÄUME, bis heute der Grundpfeiler des Archivs.
2004 hat die Archivgruppe ihre Arbeit eingestellt.
[1] Denk-T-Räume-Kursprogramm Sommer 1988, S.6.
Sammlung Frauennachlässe
Der „Trostkoffer“. Briefe als materielle Erinnerung an Freundinnenschaften
Josefine Titz (1912-2006) war Sozialarbeiterin in Perchtoldsdorf bei Wien. In mehreren Schuhkartons hat sie die Korrespondenz aufbewahrt, die sie zwischen November 1933 und Mai 1984 mit Frieda Winter (1891-1989) und deren Schwester Paula Winter (1895-1988) geführt hat.
Frieda Winter war vorerst die Vorgesetzte und dann eine enge Freundin von Josefine Titz. In ihrem Tagebuch bezeichnete Josefine Titz diese Schuhkartons voller Briefe als „Trostkoffer“. Im hohen Alter von 92 Jahren beschrieb sie die materielle Erfahrung des Wieder- und Wiederlesens der insgesamt 1.910 Schreiben, die sie liebevoll in einer exakten Ordnung sortiert hatte:
„20.6.2004. Heute ‚Fronleichnam – Umgangssonntag‘, es regnet. Traude wollte mich abholen, war nicht möglich. – Ich habe zu meinem ‚Trostkoffer‘ gegriffen u. lese die Aufzeichnungen 1948-50. Im Grunde lebt alles zutiefst weiter in mir. Müsste ich nicht verbrennen? verbrennen? – nicht, oder doch auch meinetwegen? Aber ich kann nicht hergeben, will und tue ‚festhalten‘. Und dieses Festhalten ist mir eine große Hilfe, alle Einsamkeit und die immer größere ‚Verlorenheit‘ des Alt- und ständiger Müderwerdens zu ertragen.“
Das Beispiel dieser persönlichen Aufzeichnungen zeigt die bedeutungsstiftende Funktion des Erinnerns von und für Freundinnenschaften zwischen Frauen, die in manchen Fällen ein Leben lang hielten. Zugleich ist das Bezugnehmen im Tagebuch auf die Briefe aussagekräftig für die mögliche Intermedialität von Selbstzeugnissen. (Text: Theresa Adamski und Li Gerhalter)
Quellennachweis: Josefine Titz, Tagebuch von Juni 1978 bis Februar 2006, Sammlung Frauennachlässe am Institut für Geschichte der Universität Wien, SFN NL 100 I.
Gosteli-Archiv
Es war einmal eine Frau, die kämpfte in der ersten Hälfte ihres Lebens um das Frauenstimmrecht. Als das endlich erreicht war, war sie müde. Sie zog sich zurück. Doch als sie sah, dass Erinnerungen an Frauenkämpfe und -erfahrungen im Müll landen sollten, stemmte sie sich wieder hoch. Die zweite Hälfte ihres Lebens widmete sie mithilfe ihres Netzwerks dem Aufbau eines Frauenarchivs. So schuf sie einen wichtigen Grundpfeiler für feministische Erinnerungsarbeit.
Was tönt wie ein Märchen, ist die skizzierte Geschichte des Archivs, in dem ich heute arbeite. Die Frau hiess Marthe Gosteli, das Archiv trägt ihren Namen: Gosteli-Archiv zur Geschichte schweizerischer Frauenbewegungen.
Heute ist der Tag der Frauenarchive und der feministischen Erinnerungsarbeit. Gemeinsam mit den anderen Frauenarchiven dieser Welt bildet das Gosteli-Archiv einen wichtigen Dreh- und Angelpunkt für feministische Erinnerungsarbeit. Menschen, die lange unterschätztes Material bringen, geben sich bei uns mit Forschenden und Publizierenden die Klinke in die Hand. Meine Kolleginnen ordnen die Archivalien und machen sie recherchierbar. So lässt sich die Geschichte von Hausarbeit, Frauenstimmrecht und Trachten, von Radikalfeministinnen, Stimmrechtsgegnerinnen, Fluchthelferinnen, Therapeutinnen und vielem, vielem mehr erzählen.
Auch das, was ihr hier gerade lest, ist Teil feministischer Erinnerungsarbeit. Sie ist längst in der digitalen Welt angekommen. Diesen Text schreibe ich nicht nur für die I.D.A.-Seite, sondern auch für die Sozialen Medien. Es ist nicht einfach, die reichhaltige und komplexe Geschichte in simple Worte zu fassen. Sie konkurrenzfähig zu machen in diesen schnelllebigen Medien und trotzdem den Standards historischen und archivarischen Arbeitens treu zu bleiben. Fast immer braucht es Kompromisse – und doch: tun wir es nicht, bleibt die Frauengeschichte stumm.
Lasst uns anstossen. Auf die Frauen vor uns, die Frauen mit uns, die Frauen nach uns. Und auf die Frauenarchive.
Herzlich grüsst,
Tabea
Archiv Frau und Musik
Nicht nur Musik muss zum Klingen gebracht werden – auch Archive müssen „gehört“ werden! Zum Tag der Frauenarchive stellen wir deshalb ein hörbares Archivobjekt vor, das unser Archiv, aber auch zahlreiche Musikwerke von Frauen hörbar macht. Um unser Archiv einer breiten Öffentlichkeit vorzustellen, haben unsere Vorstandsfrau Mary Ellen Kitchens und Archivmitarbeiterin Jelena Rothermel die Studios des Hessischen Rundfunks besucht und dort einen Podcast über das Archiv Frau und Musik aufgenommen. Susanne Pütz, Redakteurin bei hr2, führt durch das Gespräch: Wir erzählen über die Geschichte des Archivs, unsere persönlichen Anfänge im Bereich von „Frauen und Musik“ und die vielfältigen Arbeiten in einem feministischen Musikarchiv. Vor allem aber ging es um unsere musikalischen Highlights! Zu hören sind etwa Stücke von Hanna Havrylets, Élisabeth Jacquet de la Guerre oder Francisca Gonzaga. Welche besonderen Verbindungen diese Musiken zu unserem Archiv haben, erzählen wir in dem Podcast.
Feministische Geschichtswerkstatt Freiburg
Frauen erklären Atom und Blei den Krieg. Über die Badische Fraueninitiative gegen Bleiwerk Marckolsheim und KKW Wyhl / Frauenkollektiv Freiburg (Hg.). Freiburg 1975
Am 23. Februar 2025 jährte sich die erfolgreiche Platzbesetzung gegen das geplante AKW in Wyhl am Kaiserstuhl zum 50. Mal. Das AKW wurde nie gebaut. Ein spannendes Dokument zum frühen feministischen Anti-AKW Widerstand ist die Broschüre über die Badische Fraueninitiative: Frauen erklären Atom und Blei den Krieg.
Im Sommer 1974 gründen einige Mitstreiterinnen des Freiburger Frauenkollektivs die Initiativgruppe KKW NEIN – sie wird zu einer der 21 Bürger_Initiativen, die sich gegen den Bau eines Bleiwerks im elsässischen Marckolsheim und - auf der anderen Seite der Grenze - gegen das AKW in Wyhl zusammenschlossen. Schnell merken die Aktivistinnen, dass sie als Gruppe innerhalb der Protestbewegung eine Ausnahme bilden. Denn die anderen 20 BIs werden von männlichen Akteuren dominiert. Dabei haben Kaiserstühlerinnen und Elsässerinnen von Anfang an eine tragende Rolle während der Platzbesetzung: Sie bringen Holz und Lebensmittel auf den Platz und betreiben kollektiv die Kantine für die Platzbesetzer*innen. „Viele Frauen aus den badischen Ortschaften, Winzerinnen und Bäuerinnen, verbrachten jede freie Minute auf dem Platz. Sie saßen mit ihren Kindern ums Feuer, erzählten sich was und strickten oder stopften.“ (Frauenkollektiv Freiburg).
Im Herbst 1974 gründen Frauenkollektiv und die KKW-NEIN-Gruppe mit den Aktivistinnen vom Kaiserstuhl die Badische Fraueninitiative. In der Broschüre blicken sie auf diese Prozesse zurück: sie protokollieren den Prozess der Annäherung und reflektieren, wie es gelang , sich über soziale und kulturelle Unterschiede hinweg gegenseitig zu empowern und als eigenständige Gruppe mit spezifischen Themen und Forderungen mehr Sichtbarkeit zu erlangen. Über die Care-Arbeit hinaus.
Unser Fundstück aus den Anfängen Anti-AKW Bewegung erschien 1977 als Sonderbeilage in der Zeitschrift Courage.