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Vor 90 Jahren - Machtübergabe an die NSDAP

Teasertext

Vor 90 Jahren besiegelte die Machtübergabe an die NSDAP das Ende der ersten deutschen Demokratie und damit vorläufig auch der Frauenbewegung. Wir haben in den i.d.a.- Einrichtungen nach Spuren gesucht.

Text

Vor 90 Jahren endete die erste deutsche Demokratie. Nach der Machtübertragung an die NSDAP am 30. Januar 1933 lösten diese am 1. Februar den Reichstag auf und demontierten im Februar und März die wichtigsten Grundlagen der Weimarer Republik; sie verhafteten und bedrohten politische Gegner*Innen und jüdische Menschen. Das bedeutete auch das vorläufige Ende der Frauenbewegung – viele ihrer Akteurinnen gingen ins Exil oder wurden verschleppt, zumindest aber aus der Politik und dem öffentlichen Leben verbannt. Vor allem linke, liberale und jüdische Frauen hatten sich in den letzten Jahren der Weimarer Republik verstärkt gegen die NSDAP engagiert und bereits sehr lange vor der Partei gewarnt. Durch die am 30.1.1933 durch Reichspräsident Hindenburg gestützte Koalitionsregierung aus NSDAP, DNVP und Stahlhelm und der darauffolgenden endgültigen Zerstörung von demokratischen und zivilgesellschaftlichen Strukturen verlor auch die Frauenbewegung ihre Organisationen. Da die NSDAP Frauen den Zugang zu politischen Führungspositionen versagte, verloren sie außerdem de facto das passive Wahlrecht, auch wenn dies nie explizit formuliert wurde. Später verschärfte die NSDAP den §218; nach und nach wurden wieder bestimmte Berufsverbote für Frauen eingeführt. Gleichzeitig versuchten Teile der Frauenverbände, sich vorerst mit den neuen Machthabern zu arrangieren. Der jüdische Frauenbund wiederum konzentrierte sich darauf, Frauen auf die Emigration vorzubereiten und die Alten und Kranken, die nicht emigrieren konnten, zu versorgen und so gut es ging zu schützen.

Die NS-Zeit hinterließ in den Überlieferungen dieser Frauen, ihrer Netzwerke, Verbände und Parteien große Lücken. Zahlreiche Dokumente sind für immer verloren. Auch mit der differenzierten Aufarbeitung des oftmals ambivalenten und vielschichtigen Erbes der Frauenbewegung und ihrem Umgang mit den Nationalsozialisten und der NS-Zeit taten sich die nachfolgenden Generationen lange schwer. Die Institutionen der bundesdeutschen Geschichtsschreibung wiederum kümmerten sich nur wenig um die Frauen der historischen Frauenbewegung. Die so entstandenen Lücken zeigen sich bis heute auch in unseren Beständen. Wir haben trotzdem ein paar spannende Zeugnisse gefunden:

Das Feministische Archiv FFBIZ

Bildunterschrift
Enthüllung der Gedenktafel für Helene Stöcker an ihrem Wohnhaus in Berlin 1994, FFBIZ, C Rep. 40 Acc. 200 Nr. 3397 BRD 18.20., Foto-Nr.: 4697, Urheber*in: Fotograf*In unbekannt

Das Foto dokumentiert die Enthüllung der Berliner Gedenktafel für die Frauenrechtlerin, Sexualreformerin und Pazifistin Helene Stöcker am 13.11.1994 an ihrem ehemaligen Wohnhaus in der Münchowstraße 1 am Nikolassee im Bezirk Berlin-Zehlendorf, in dem sie von 1912 bis zu ihrer Vertreibung 1933 lebte. Helene Stöcker promovierte 1901/02 in Bern, da dies zu diesem Zeitpunkt für Frauen in Deutschland noch nicht möglich war. 1905 gründete sie mit Lily Braun und anderen den "Bund für Mutterschutz", der sich für die rechtliche Gleichstellung unehelicher Kinder und lediger Mütter einsetzte. Bis 1932 gab sie die Zeitschrift des Bundes mit dem Titel "Mutterschutz" (später „Neue Generation“) heraus. Als Vertreterin des Bundes nahm sie an internationalen Frauenkongressen und Friedenskonferenzen teil.
Noch vor dem 30. Januar 1933 verließ Helene Stöcker Deutschland und ging in die Schweiz. Ihr engagiertes Eintreten für Pazifismus und für die Reformierung der Sexualreform war mit der aufkommenden nationalsozialistischen Politik nicht vereinbar. Im Jahr 1933 wurde ihr die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt. Sie reiste über London, Schweden und schließlich über Russland in die USA ein. Hier starb sie am 24. Februar 1943.

Provenienz: Die Materialien zum Bund für Mutterschutz und betreff Dr. Helene Stöcker sind ein Geschenk von Irene Stöhr an das FFBIZ

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Digitales Deutsches Frauenarchiv

In der Podcast-Folge „Mit Hass an die Macht“ begibt sich DDF-Historikerin Birgit Kiupel auf die Spuren der Frauenbewegungen am Vorabend der Machtübertragung.

Sie thematisiert den Umgang der Frauenbewegung mit dem NS-Regime und die Auseinandersetzungen darüber innerhalb feministischer Strukturen nach 1945. Zu Wort kommen unter anderem die Historikerinnen der i.d.a.-Einrichtung DENKtRÄUME Inga Müller und Nicolli Povijač sowie die Mitbegründerin des feministischen Bildungszentrums und Archivs Helga Braun. Birgit Kiupel spricht mit ihnen über die Frauenforscherin Ruth Kellermann, deren NS-Täterinnenschaft 1985 bekannt wurde, nachdem sie bereits lange in der Hamburger Frauenbildungsszene aktiv gewesen war. Außerdem spricht Nicolli Povijač über die Hamburger Politikerin Emmy Beckmann, die sich bereits früh gegen den Nationalsozialismus engagierte und 1933 trotz erheblicher Repressionen gegen sich im Land blieb. Die Sozialhistorikerin Sabine Hoffkamp berichtet vom frühen Kampf der Frauenrechtlerin und Pazifistin Lida Gustava Heymann gegen die NS-Bewegung und Adolf Hitler, dessen Ausweisung aus Deutschland sie bereits 1923 gefordert hatte. Mit Lydia Struck spricht Birgit Kiupel über ihre Forschungen zu ihrer Urgroßtante, der SPD-Politikerin Marie Juchacz.

Diese und weitere Podcast-Folgen finden Sie hier

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DDF-Podcast Listen to the Archive
 

Digitales Deutsches Frauenarchiv

Männerbilder & Machtgesten: Es sind wiederkehrende Symboliken wie Rhetoriken, die die Berichterstattung um die Machtübertragung 1933 begleiten. Doch wie kann eine geschichtspolitische Intervention umgesetzt sein, die auf heroisierende Abbildungen von NS-Symbolen oder die Übernahme des NS-Sprachgebrauches verzichtet? Welche Perspektiven und Positionen sind in Berichterstattung und Bildungsarbeit noch immer unterrepräsentiert?

Die neue DDF-Reihe „Infos, Links & Materialien“ macht in der ersten Ausgabe (1/23: „Nun wird es anders“ (Hertha Nathorff) – 1933 und die Frauenbewegung) historische frauenpolitische Perspektiven auf diesen Bruch stark – eine Handreichung für Medien & Multiplikator*innen.

Vor 90 Jahren ernannte Reichspräsident Hindenburg am 30. Januar 1933 Hitler zum Reichskanzler: Diese Machtübertragung besiegelte das Ende der ersten deutschen Demokratie und ebnete der NS-Diktatur den Weg. Auch für die Frauenbewegung bedeutet dies ihr vorläufiges Ende.

Die Materialsammlung bündelt Beiträge und Materialien der i.d.a.-Einrichtungen zum Vorabend der Machtübertragung, zu frauenpolitischen Perspektiven auf das zentrale Jahr 1933 sowie zum späteren, auch innerfeministischen Umgang mit der NS-Vergangenheit.

Die DDF-Publikation zum direkten Durchblättern & freien Download finden Sie hier

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Leben und Wirken von Parlamentarierinnen in der Weimarer Republik sind nach wie vor nur sehr unzureichend erforscht. Die von Heide-Marie Lauterer verfasste Monografie von 2002 untersucht die Lebenswege von Politikerinnen unterschiedlicher Parteien über alle Systemzäsuren hinweg, so auch während der turbulenten Jahre der späten Weimarer Republik und in den kritischen Monaten, die das Ende der ersten deutschen Demokratie besiegelten.

Mit der Machtübertragung am 30. Januar 1933 begann der gezielte politische Terror, von dem auch die weiblichen Abgeordneten nicht verschont blieben; das Ausmaß ihrer Drangsalierung hing dabei von ihrer Parteizugehörigkeit und ihrem „rassischen Status“ ab. Am stärksten traf es Jüdinnen aller Parteien sowie die Abgeordneten der KPD, deren Mitglieder verhaftet, gefoltert und in die ersten provisorischen Lager verschleppt wurden. Zahlreiche Parlamentarierinnen der Kommunistischen Partei gingen spätestens nach dem Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 in die Illegalität. Manche kamen unter ungeklärten Umständen ums Leben, so zum Beispiel die 32-jährige Else Meier, die im August 1933 vermutlich in Folge eines SA-Überfalls verstarb.

Ähnlich erging es den Abgeordneten der SPD, die im Juni offiziell verboten wurde. Es waren die Frauen der SPD-Fraktion, die unter dem Eindruck der Folterung der SPD-Genossin Maria Janowska durch die SA darauf drangen, am 23. März 1933 im Reichstag gegen das Ermächtigungsgesetz zu stimmen.

Da vor der Krolloper, in der der Reichstag tagen sollte, SA und SS Spalier standen, wollten viele Parlamentarier an der Abstimmung nicht mehr teilnehmen, da sie eine Falle durch die NSDAP befürchteten. Die SPD-Genossinnen aber waren der Meinung, dass die Fraktion gerade unter den gegebenen Umständen ihren letzten verbleibenden Handlungsspielraum nutzen müsse, auch unter Lebensgefahr. Clara Bohm-Schuch, Toni Pfülf und Louise Schröder gehörten zu den entschiedensten Verfechterinnen dieses vorerst letzten Aktes. Sie machten die SPD zur einzigen, noch im Parlament vertretenen Partei, die gegen das Gesetz stimmte, mit dem die Nationalsozialisten die Weimarer Verfassung außer Kraft setzten.

Parlamentarierinnen der linken wie auch der liberalen Parteien und des Zentrums wurden in den ersten Monaten der NS-Herrschaft häufig überwacht, bespitzelt, verhaftet und von der Gestapo verhört. Einige erlebten Hausdurchsuchungen. Außerdem wurden die häufig bürgerlichen Frauen dieser Parteien Opfer der verschiedenen Berufsverbote, die sich in erster Linie auf staatliche und Bildungsberufe bezogen und bürgerliche Frauen daher überproportional trafen.  Die Lebenswege der Parlamentarierinnen unterschieden sich trotz dieser Repressionen beträchtlich. Während manche Frauen ins Exil gingen, passten sich andere an die Gegebenheiten der neuen Regierung an. Gertrud Bäumer zum Beispiel war zwar aus politischen Gründen aus dem Staatsdienst entlassen worden, hatte sich dann aber als Schriftstellerin und Herausgeberin der Zeitschrift Die Frau mit dem Regime arrangiert.

Frauen der Parteien aus dem rechten Spektrum blieben weitgehend unbehelligt, mussten aber nach der Abstimmung des Ermächtigungsgesetzes den Verlust ihres Mandats im Pseudoreichstag hinnehmen.

Insgesamt wird deutlich, dass viele bürgerliche Parlamentarierinnen die Tragweite der Ereignisse vorerst unterschätzten und desorientiert auf die Umwälzungen reagierten. Einige fanden später den Weg in den Widerstand.

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Heide-Marie Lauterer, Parlamentarierinnen in Deutschland 1918/19 - 1949, Königstein/Taunus 2002.

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Titelblatt und Inhaltsverzeichnis, Die Frau 6, Jg.40, März 1933
Titelblatt und Inhaltsverzeichnis, Die Frau, Heft 6, Jg. 40, März 1933, FMT, Z.GE.002.

Die von Helene Lange gegründeten Zeitschrift Die Frau wurde zwischen 1933 und 1944 von Gertrud Bäumer und der ehemaligen DVP-Politikerin Frances Magnus-von Hausen herausgegeben.

Während die Februar-Ausgabe noch keinerlei Reaktionen auf die neuen Verhältnisse enthält, loten viele – aber nicht alle – Beiträge der März-Nummer das Verhältnis zu den neuen Machthabern aus. Marianne Weber stellt den völkischen Idealen überpersönlicher Zugehörigkeit die Ideen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit gegenüber, allerdings nicht, ohne der Volksgemeinschaft ein paar Zugeständnisse zu machen. Dorothee von Velsen grenzt sich aus unserer heutigen Perspektive in ihrem Beitrag Frauen, Volk und Staat nicht gerade entschieden von den neuen Machthabern ab, fragt sich aber, wohin die Reise gehen soll: in einen (Rechts-)Staat oder ins Reich. Auch die anderen Beiträge sind eher kritische, wenn auch schöngeistige Auseinandersetzungen mit NS-Konzepten von Familie, Geschlecht und Staat.

Bäumers Intention, durch weitreichende Zugeständnisse an den NS-Staat weiterhin Reste frauenbewegter Inhalte veröffentlichen zu können, scheiterte: nach und nach wurden eben jene Zugeständnisse immer größer. So standen wohlwollende Artikel zur NS-Außen- und Sozialpolitik und antisemitische Werbeanzeigen neben kritischen Texten von verfemten und/oder jüdischen Autorinnen.

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