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25. November - Aktionstag gegen Gewalt an Frauen

Teasertext

Am 25. November ist Aktionstag gegen Gewalt an Frauen. Die Vereinten Nationen erklärten diesen Tag 1999 offiziell zum „Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen“. Aktionen zum 25. November gibt es jedoch schon seit 1981.

Text

Jährlich am 25. November ist Aktionstag gegen die Gewalt an Frauen. Seit 1981 organisieren Frauen- und Menschenrechtsorganisationen an diesem Tag Aktionen und Veranstaltungen zur Bekämpfung von Diskriminierung und Gewalt gegen Mädchen und Frauen. Hintergrund des Aktionstages ist der Fall Mirabal. Die drei Schwestern hatten in der Dominikanischen Republik gegen die Diktatur unter Rafael Trujillo gekämpft. Nach monatelanger Folter wurden sie am 25. November 1960 getötet. Die Vereinten Nationen verabschiedeten schließlich 1999 eine Resolution, der den 25. November offiziell zum „Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen“ erklärte.

Auch das i.d.a.-Monatsthema widmet sich diesem wichtigen Tag und drei unserer Einrichtung zeigen Sammlungsstücke zu dem Thema aus ihren Archiven. Das AddF in Kassel zeigt sein Fundstück zur Selbstverteidigung für bürgerliche Frauen Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Frauennachlässe in Wien verweisen mit den Selbstzeugnissen aus ihrer Sammlung auf Gewalt gegen Frauen in Kriegssituationen – ein Thema leider so aktuell wie lange nicht. DENKtRÄUME schließlich zeigt uns, was die Frauenbewegung der 1990er Jahre zum Thema Computer/Internet und Gewalt zu sagen hatte und zeigt, wie erstaunlich präzise die „Prophezeiungen“ gewesen sind.

Wir rufen alle auf, sich am 25. November an den verschiedenen Aktionen zu beteiligen und gemeinsam ein Zeichen zu setzen gegen Gewalt an Frauen und Mädchen!

AddF - Archiv der deutschen Frauenbewegung

„Leider bieten sich im Leben der Frau Gelegenheiten genug, sich auf die eigenen Verteidigungsmittel verlassen zu müssen, wenn es gilt, sich gegen Rohheiten seitens gewisser Männer Schutz zu verschaffen.“ (S. 7)

So erklärt Armand Cherpillod die Lebensrealität der Frauen in seinem Werk „Meine Selbsthilfe. Einige Kunstgriffe des Dschiu-Dschitsu für Damen“ [1905/1906] und zeigt damit, dass Gewalt gegen Frauen auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein ernstzunehmendes Problem war.

Armand Cherpillod war ein Schweizer Ringer, zeitweise Leiter eines bekannten Londoner Selbsthilfeklubs (Baritsu-Klub) und Weltchampion im Ringen des Jahres 1902.
Die Verleger des Buches statuieren im Vorwort, dass er die Kunst des „Dschiu-Dschutsu“ von japanischen Meistern circa 1901 in London in eben jenem Klub kennenlernte. Daraufhin lehrte er es in privaten und öffentlichen Selbstverteidigungskursen für Männer und Frauen. In diesem Buch versucht Cherpillod, die wichtigsten Kniffe dieser Art der Selbstverteidigung für Frauen aufzuarbeiten, da er die Notwendigkeit für diese im Alltagsleben gegeben sieht: „In den Städten besonders sind Personen weiblichen Geschlechts nicht selten Zudringlichkeiten ausgesetzt. Die Dschiu-Dschitsu-Jüngerin befreit sich in diesen Fällen […] aus einer, wenn auch nicht gerade gefährlichen, so doch im höchsten Grade peinlichen Lage. […] Allerdings kann die Lage an abgelegenen Orten oder auf Reise kritischer werden.“  (S. 11 f.)

Auch, wenn Cherpillod die Gefahr in den Städten sicher unterschätzt, wenn er von „peinliche Lage“ spricht, leistet er mit seinem Buch einen Beitrag, das Thema körperlicher Gewalt gegen bürgerliche Frauen in die Öffentlichkeit zu tragen und gibt „der Dame“ ein wichtiges und nützliches Werkzeug zur Gegenwehr an die Hand.
Er gibt den Leser:innen Tipps zur Stärkung der Finger, Handgelenks-, Hand-, Arm- und Wadenmuskulatur, Listen zu Körperteilen und -regionen, die empfindlich auf Druck, Verrenkung, Verbeugung und Handschläge reagieren und zeigt anhand von Bildertafeln verschiedene situative Techniken, die frau im Falle eines Angriffs anwenden kann.

Cherpillod zeigt sowohl leichte Angriffe [„C. (Cherpillod) erlaubt sich D. (Dame) zu necken und nähert seine Hand dem Kopf D.‘s.“ (S. 22)] als auch Angriffe mit Tötungsabsicht [Tafel 37: „Verteidigung gegen eine Erdrosselung in liegender Stellung.“ (S. 92)]. Auch den Frauen gibt er Hilfe, um ihren Angreifer ggf. selbst zu erdrosseln (siehe Tafel 35) und begründet dies wie folgt:

„Das Dschiu-Dschitsu ist eigentlich nichts anderes als ein Kampf. Sein unmittelbarer Zweck ist die Selbstverteidigung mit allen verfügbaren Mitteln und ohne sich um die eventuellen Folgen für den Angreifenden zu kümmern. Wenn letzterer infolge der Gewandtheit des Angegriffenen mehr oder weniger schwer verletzt wird oder vielleicht sogar tot auf dem Platz bleibt, so ist ihm nur geworden, was er verdient.“ (S. 8)

Bildunterschrift
Ausgabe des Werkes von A. Cherpillod, Champion "Dschiu-Dschitsu für Damen“, ca. 1904
Frau bei einer Selbstverteidigungsübung, ca. 1901
Quelle
AddF – Archiv der deutschen Frauenbewegung
Frau bei einer Selbstverteidigungsübung
Quelle
AddF – Archiv der deutschen Frauenbewegung

Verteidigungsbild 1: „Im Laufe der Verfolgung versucht C., D. um den Leib zu fassen. D. dreht sich plötzlich um und schlägt ihm mit dem Ellbogen mitten in’s Gesicht. Durch den mit Entschlossenheit ausgeführten Schlag und heftigen Schmerz überrascht, wird C. sofort D. los lassen.“ (S. 26)

Verteidigungsbild 2: „Angenommen, D. befinde sich hinter C. in der auf Tafel 34 angegebenen Stellung, so umschlingt D. den Hals C.‘s mit beiden Händen uns versetzt ihm mit dem Knie einen Stoss in die Lenden, den Gegner sogleich kräftig an sich ziehend. C. verliert den Atem, stürzt zu Boden und riskiert Erstickung.“ (S. 88)  

Bildunterschrift
Ausschnitt aus dem Tagebucheintrag von Julie Meerbach (pseud., geb. 1907) vom 12. April 1945 über die Gewaltkonfrontation als Zivilperson während des Kampfgeschehens in Wien zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Markierungen im Original.

 

Bildunterschrift
Tagebucheinträge von Maria Willmann (geb. 1911) in Schrems in Niederösterreich von 8. bis 31. Mai 1945, in denen sie eine Leerstelle in ihren Aufzeichnungen direkt benennt: „Über die 8 folgenden Tage will ich nichts schreiben.“

 

Bildunterschrift
Tagebücher von Helene Adler (pseud., geb. 1894) und Irmgard Weinberger (geb. 1928) aus 1944 und 1945. Beide Frauen befanden sich zum Ende des Zweiten Weltkriegs auf der Flucht innerhalb von Österreich.

Sammlung Frauennachlässe Wien

(Sexuelle) Gewalt gegen Frauen in Kriegssituationen – ein Thema in Selbstzeugnissen?

Auto/biografische Aufzeichnungen aus den beiden Weltkriegen sind in historischen Sammlungen verhältnismäßig gut verfügbar. Einerseits wurde in Ausnahmesituationen mehr aufgezeichnet, andererseits wurden etwa Feldpostbriefe häufig aufbewahrt – und später an Archive gegeben. Diese Konjunkturen lassen sich in den Beständen der Sammlung Frauennachlässe am Institut für Geschichte der Universität Wien deutlich ablesen. Aktuell sind hier ca. 200 Nachlässe archiviert, die Korrespondenzen, Tagebücher oder Lebenserinnerungen aus (bzw. zu) den Zeiträumen 1914-1918 und 1939-1945 enthalten. Bestimmte Formate wie etwa Fotoalben wurden auch eigens zur Dokumentation des Kriegsdienstes angelegt.

Von der Gewalt von Soldaten gegenüber der Zivilbevölkerung – und der gegenderten Form der sexuellen Gewalt gegen Frauen – finden sich in Selbstzeugnissen vereinzelte Spuren. Die feministisch-historische Forschung beschäftigt sich u.a. mit dem komplexen Spannungsverhältnis von individuell erlittenen Gewalterfahrungen und generalisierenden Instrumentalisierungen in Kriegszusammenhängen. Diese sind jeweils nur in ihren spezifischen strukturellen und sozialen Kontexten zu verstehen. Eine Expertin dafür ist Christa Hämmerle, die langjährige Leiterin der Sammlung Frauennachlässe. Mit dem Schwerpunkt auf Militärgeschichte und den Ersten Weltkrieg hat sie auch mehrere Lehrveranstaltungen dazu gehalten, wodurch Studierende die Gelegenheit hatten, sich mit diesem ausgesprochen schweren und schwierigen Thema wissenschaftlich zu beschäftigen.

In diesem Kontext entsteht u.a. die Masterarbeit von Pauline Bögner. Sie untersucht dabei, wie Frauen das Thema sexuelle Gewalt im Jahr 1945 in Tagebüchern beschrieben haben. Die Auswertung von 31 Beständen aus der Sammlung Frauennachlässe hat gezeigt, dass über selbst erlittene Gewalt weitgehend geschwiegen wurde. Berichte über beobachtete Gewalt finden sich aber regelmäßig, wobei sich darin ggf. auch der ideologische Diskurs der Zeit um das Kriegsende erkennen lässt. Die in der Zeuginnenperspektive implizierte Distanz könnte als Möglichkeit der Frauen gedeutet werden, unaussprechliche Erfahrungen beschreibbar zu machen.

 

Literatur (Auswahl):

Pauline Bögner: „[...] bis jetzt sind sie nicht unverschämt.“ Der Kontakt mit alliierten Besatzungssoldaten als Thema in Tagebüchern von Frauen, auf: fernetzt – der Blog (20.11.2020). https://fernetzt.univie.ac.at/20201120/

Christa Hämmerle: Ausüben und Erleiden kriegerischer Gewalt in geschlechtergeschichtlicher Perspektive: Das Beispiel des Ersten Weltkriegs (1914/18), in: Eva Labouvie (Hg.): Geschlecht, Gewalt und Gesellschaft. Interdisziplinäre Perspektiven auf Geschichte und Gegenwart, transcript: Bielefeld 2023, S. 189-208. https://www.transcript-open.de/doi/10.14361/9783839464953-012#read-container

Christa Hämmerle: „An Expression of Horror and Sadness“? (Non)Communication of War Violence against Civilians in Ego Documents (Austria-Hungary), in: Martin Baumeister, Philipp Lenhard und Ruth Nattermann (Hg.): Rethinking the Age of Emancipation. Comparative and Transnational Perspectives on Gender, Family, and Religion in Italy and Germany, 1800-1918, New York/Oxford: Berghahn Books 2020, S. 309-331.

Frauen*bildungszentrum DENKtRÄUME

In der Juli/September-Ausgabe der Hamburger FrauenZeitung von 1996 beschäftigten sich die Autor*innen unter anderem mit dem Thema „Cörper und Komputer“. Steffi Gräfe geht dabei in ihrem Artikel „Körper, Kopfgeburten und Computer“ (S. 12-16) auf die Chancen und Risiken des neuen Mediums ein. Dabei prophezeit die Autorin erstaunlich präzise die Gefahren von Computern und darauf aufbauend dem Internet, so dass beim Lesen schwer zu glauben ist, dass der Text fast 30 Jahre alt ist – zu einer Zeit geschrieben, in der das Internet noch in seinen Kinderschuhen steckte.

Gräfe spricht in ihrem Text die Hoffnung an, die mit Computern und dem aufkommenden World Wide Web verbunden waren:

„Frau könnte nun voller Hoffnung glauben, daß die Körperlosigkeit des Mediums Computer neue Möglichkeiten bereit hält, die Projektionen und Zurichtungen auf Frauenkörper zu überwinden, ja sogar vielleicht den Geschlechterdualismus aufzuweichen – dem Computer ist es schließlich egal, was die Person mit der Maus zwischen den Beinen hat.“

Schließlich fragt sie: „Wird das geschlechtsneutrale Phantom „Mensch“ am Computer endlich Wirklichkeit?“, verneint dies jedoch gleich im darauffolgenden Absatz:

„Weit gefehlt. Ein Blick (der allerdings Übelkeit nach sich zieht) in die Variationsbreite der Computerpornographie zeigt, daß der Computer vielmehr in der Lage ist, die Modellierung von Körpern nach Maß und die Objektivierung dieser Körper zumindest auf dem Bildschirm zu Perfektion zu bringen. […] Hier ermöglicht die Informationstechnologie eine zeitliche und räumliche Verlängerung von Gewalt. Vor allem aber stellen Computer Möglichkeiten bereit, Männern genau die ‚Frauen‘ zu beschaffen, die sie haben wollen und mit denen sie machen können, was sie wollen.“

Nicht nur in der Gewalt-Pornographie, zu der das Internet den Zugang vereinfacht hat, sieht sie ein Problem, sondern auch in der Kommunikation:

„Spätestens dann, wenn Computer zur direkten Kommunikation zwischen Individuen dienen, ist auch das Geschlecht der ‚UserInnen‘ nicht mehr beliebig: Internet-Wortschöpfungen wie ‚Cyberbashing‘ (sexuelle Nötigung in Netzwerken) und ‚rape threats‘ (Vergewaltigungsdrohungen in Netzwerken) sprechen für sich. Vor allem aber erleichtern Netzwerke die Organisation und Vergrößerung von „Interessensgemeinschaften“ (z.B. von Pädo‚philen‘ etc.).“

Letztlich kommt sie zu dem Fazit:

„Im Unterschied zu anderen Technologien ermöglicht der Computer die Zurichtung von Frauenkörpern praktisch unbehelligt von jeglicher sozialer Kontrolle. Kein Mann muß mehr ins Bordell gehen, wo er theoretisch gesehen werden könnte.“ (Alle Zitate S. 15)

Gräfe spricht damit drei zentrale Punkte an, wie und wo Gewalt gegen Frauen* im digitalen Raum Realität wird: In Pornographie mit gewaltvollen Inhalten, in sexueller Belästigung und in Drohungen oder misogynen Bewegungen, wie z.B. große Teile der sogenannten INCELS.

Wie präzise diese Aussagen waren, zeigt sich bei einem heutigen Realitätscheck: Der Zugang zu Pornographie mit gewaltvollen Inhalten trifft Frauen und auch Mädchen. Eine britische Studie kommt laut einem Bericht des Deutschen Präventionstag zu dem Ergebnis, dass 79 % der Befragten vor ihrem 18 Lebensjahr mit gewaltvoller Pornographie in Berührung kommen. Die Studie deutet ebenfalls auf einen Zusammenhang von Pornographie-Konsum von Jugendlichen und Gewalt hin. So seien 47 % der Befragten der Ansicht, dass Mädchen Gewalt als Teil von Sex „erwarten“ würden. Das sind erschreckende Zahlen.

In den letzten Jahren erfährt zunehmend eine Bewegung Aufmerksamkeit, die sich als INCELS bezeichnet. Abgekürzt für „involuntary celibate, ungewollt zölibatär, gehen große Teile dieser Bewegung davon aus, dass sie ein „Recht“ auf den Körper einer Frau hätten, das ihnen verweht wird. Ihre Foren im Netz sind voll von frauen- und menschenverachtenden Kommentaren und Gewaltfantasien. Und diese finden auch fernab vom Netz zunehmend Ausdruck. So sympathisierte der Attentäter von Halle mit der Gedankenwelt der INCELS – mit verheerenden Folgen. (mehr zu INCELS, s. z.B. story.ndr.de).

Das ist nur die Spitze des Eisbergs, von den alltäglichen Anfeindungen und sexuellen Belästigungen die FLINTA*-Personen im Netz ausgesetzt sind, könnten tausende Server und Buchseiten gefüllt werden. Kommunikation als ein zentrales Moment arbeitet der Text von 1996 ebenfalls heraus.

Was also tun? Als Gegenmaßnahme schlägt Gräfe vor:

„Unbestritten können uns Informationstechnologien als Werkzeug zur politischen Organisierung und Vernetzung dienen. Wir müssen sie auch kennen, um überhaupt ansatzweise eine Chance zur sozialen Kontrolle zu haben (wie wäre es z.B. mal mit einem feministischen Virenprogramm?). Gesellschaftlichen Widerstand gegen normalisierende Körperbilder, Gewaltprojektionen und Ausgrenzung ‚Anderer‘ können wir aber nur als verkörperte, ihren Sinnen trauende Frauen leisten.“ (S. 16)

Die Instrumente zu kennen, hilft sicher sie zu beherrschen. Und ungeachtet dessen, wie zutreffend oder nicht die Aussagen der Frauenbewegung zur heutigen Gewalt im digitalen Raum waren, lohnt sich ein Blick in die Positionen und Argumente der früheren Frauen- und feministischen Bewegungen immer.

Bildunterschrift
Hamburger FrauenZeitung Nr. 49 von 1996 mit dem Schwerpunktthema "Cörper und Komputer"

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